Manchmal reicht ein Stück
Heida schlürfte an ihrer Kaffeetasse. Durch das breite, an den Rändern mit ockerfarbenenBlumen und Schmetterlingen bedruckte Fenster schaute sie hinaus auf die wintermatschige Kreuzung. Hinter den dreispurigen Fahrbahnen begann der Heidepark. Mit Anton war sie dort früher häufig spazieren gegangen. Im Sommer hatte sie ihren großen weißen Hut mit Schleier getragen, die Männer hatten ihr hinterher geschaut. Und Anton, in seinem feinen, dunkelgrauen Nadelstreifenanzug, wurde von ihnen beneidet. Hand in Hand waren sie spaziert, an der Vogelvoliere vorbei, entlang des Flüsschens. Über die kleine Holzbrücke zur Bank vor der alten Trauerweide. Seit 1960 war sie nicht mehr dort gewesen.
Komisch, dass dieser fremde Mann sie heute ausgerechnet in dieses Café bestellt hatte, mit Blick auf den Heidepark. Ein paar Schneeflocken fielen vom Himmel und gesellten sich in den Matsch des Feierabendverkehrs. Nur auf dem Dach der Telefonzelle fanden sie Ruhe vor Autoreifen und salzigen Straßen. Mit ihrem weißen Häubchen erkämpfte die gelbe Zelle trotzig etwas Farbe im grauen Einerlei.
„Möchten Sie noch einen Kaffee?“, erkundigte sich die Bedienung.
Heida überprüfte ihre Tasse. Sie war leer.
„Sehr aufmerksam, aber ich nehme lieber einen Früchtetee.“
Die junge Frau lächelte und nahm dann die Bestellung vom Nachbartisch auf. Wo blieb dieser Mann? Er hatte sie zu 16 Uhr bestellt. Es war kurz vor vier, und er war immer noch nicht erschienen.
Plötzlich wurde die Cafétür aufgerissen. Eine junge Frau mit Pudel und einem dreckig feuchten Mantel stapfte an Heida vorbei zum Tresen. Sie bestellte etwas, kam zurückgestapft und ließ sich vor Heida auf den Stuhl fallen. Dann kramte sie gedankenverloren in ihrer Handtasche. Heida blickte sich um. Fast die Hälfte der Tische war frei.
„Entschuldigen Sie, junge Dame“, sie räusperte sich. „Aber ich erwarte jemanden. Könnten Sie sich mit ihrem Pudel vielleicht an einen anderen Tisch setzen?“
„Der beißt nicht“, brachte die dunkelblonde Frau hervor und wühlte weiter akribisch in den Fächern ihrer vollgestopften Tasche.
„Sie verstehen mich nicht. Ich bin um 16 Uhr verabredet.“
Die Frau schaute auf und warf einen Blick auf die nostalgische Wanduhr über der Theke. Heida erkannte eine Menge schwarzen Eyeliner unter ihrem wild zerzausten blonden Haar.
„Also wenn ich Sie mir so anschaue“, sie meinte Heidas Tulpenblütenbrosche und den Tulpenstrauß, den sie als Erkennungszeichen mitgebracht hatte, „dann hat ihr Lover Sie versetzt.“
Heida schnappte nach Luft.
„Ich meine das nicht böse“, entschuldigte sie sich, „aber Männer in Ihrem Alter haben doch noch Anstand und lassen einen nicht warten.“
Die Bedienung kam zum Tisch. „Ein Früchtetee und eine russische Schokolade.“
„Dankeschön“, sagte Heida höflich.
„Ich möchte zwei Stücken von der Schwarzwälder Kirsch. Wir beide haben etwas zu feiern. – Möchten Sie Sahne?“, fragte die blonde Frau.
Heida konnte nicht antworten.
„Bitte zweimal mit Sahne.“
Die Bedienung verschwand.
„Kennen wir uns?“, fragte Heida vorsichtig.
„Nein.“ Die Frau schüttelte den Kopf und zog einen kleinen Taschenspiegel und Wattepads hervor. Dann begann sie sich abzuschminken. Ihr Eyeliner, versteckt unter den langen, blonden Haaren, war verlaufen, die Augen verweint.
„Wissen Sie, Männer in Ihrem Alter haben doch Etikette. Es ist kurz nach vier. Wenn er jetzt noch nicht hier ist, hat er Sie vergessen. Und Sie sollten nicht warten und können sich einen schönen Tag machen.“
„Und was ist mit Ihnen?“
„Ich wurde zum zweiten Mal hintereinander versetzt. Aber ich habe meinen Pudel, Sie und gleich ein Stück Kuchen.“ Die junge Frau lächelte. Ein Auge war noch schmierig vom Eyeliner. „An manchen Tagen reicht das völlig.“
Trump - politisch unkorrekt
Trump ist seit seiner Geburt ein geborener Anführer. Befehle zu geben, ist in seine DNA eingeflochten, da ist er sich sicher. Trump ist mit seinem orangefarbenen Gesicht und seinem schwefelgelben Kopf auch wirklich außergewöhnlich. Manche seiner Artgenossen würden vielleicht von einem Unfall sprechen, er selbst fand sich jedoch schon immer ausgezeichnet. Insbesondere heute. Er hat sich von seiner Königin verpflichten lassen, die westfriesischen Inseln zu erkunden. Warum sie diese wichtig findet, versteht er nicht. Er versteht vieles nicht. Wenn andere seines großartigen Volkes sagen, er solle etwas tun, dann tut er es nicht. Er müsste sich ja auch erst einmal hinsetzen und überlegen, warum es sinnvoll wäre, sich nach ihnen zu richten. Viel zu kompliziert. Er gibt Befehle und die richten sich danach. Das ist einfach. Sein Geburtsrecht, so hat er es mit der Nahrung von Beginn an aufgenommen.
Westfriesische Inseln sollen es also sein. Die soll er einnehmen. Ein großes Ereignis, sein Volk wird zu ihm aufschauen, wenn er das geschafft hat. Ein Held. Der Erbauer eines neuen Reiches. Unzählige Apfelbäume soll es dort geben, hatte seine Königin ihm heute Morgen gesagt. Wie eine Rakete ist er losgezogen. Sein Team ist fertig zusammengestellt. Er hat einfach jedem Individuum vom Königinnenbereich bis zum Abflugort befohlen, er oder sie solle mitkommen. Da es sein Befehl ist, folgen sie ihm. Wer nicht buckelt, wird abgestochen, so einfach ist das. 140 Arbeiterinnen und 221 Soldaten stehen vor ihm. Kampfbereit. Das erste Ziel ist der Apfelbaum im heimischen Garten. Kurze Stärkung und dann los. Ohne Pause. Bis nach Westfriesland. Also nach Westen. Ostfriesland liegt im Osten. Südfriesland im Süden, aber dann müsste er über Mexiko, da fliegt er aus Prinzip nicht hin.
Gutes Team. Kräftige Linien, starke Beine, große Flügel. Er ist der einzige mit gelbem Kopf, alle anderen Gesichter sind schwarz.
„Sir“, ein Soldat mit besonders schönen Augen tritt vor. „Wir dürften ein Gesamtgewicht von 570 Gramm erreichen. Eine Landeplatzverteilung auf 29 Blätter scheint nach Expertenmeinung sinnvoll. Sir?“
Trump wendet seinen Blick von den Augen des Soldaten ab. Eine herrliche Spiegelung seiner selbst, so schön. Dieser Soldat gehört befördert. Keine anderen Facettenaugen spiegeln sein Antlitz so gut wieder wie diese.
„Landeplatzverteilung“, brüllt Trump. „Zwanzig Einheiten auf neun Blätter. Abflug!“ Mit seinen sechs kräftigen Beinen drückt sich Trump von der Abflugwabe ab. So einen tollen Start hat bestimmt keine der Arbeiterinnen je gesehen. Der Himmel ist leicht bewölkt, wenig Wind. Wie geschaffen für den Flug nach Ostfriesland. Trump lässt seinen geschmeidigen Körper in der Luft tanzen. Als guter Anführer brüllt er das Kommando: „Landeanflug!“ In elegantem Zickzack bewegt er sich auf das große Apfelbaumblatt neben der Straße zu. Ein Windzug. Seine Flügel stemmen sich gegen den Luftstrom. Stromabriss. Schwerelosigkeit.
„Sir, Achtung!“, schreit der Soldat mit den schönen Facettenaugen.
Neuer Windzug. Druckwelle. Autoscheibe!